Wer auf die aktuelle Tabelle der zweiten Bundesliga Süd blickt, ist versucht zu denken, dass es keine besonderen Vorkommnisse am vergangenen Wochenende gab: Der TV Rottenburg steht nach wie vor auf dem Zweiten Tabellenplatz und die Barock Volleys MTV Ludwigsburg belegen weiterhin den zweiten Abstiegsplatz. Doch falsch gedacht! Die Begegnung der beiden Teams verlief anders als erwartet — zum Leidwesen des Meisterschaftsaspiranten.
Doch der Reihe nach: Von der langwierigen Niederlagenserie ließen sich die barocken Hausherren im ersten Satz nichts anmerken und starteten auf Augenhöhe mit dem TV Rottenburg in die Partie. Der Fahrplan für die Partie war vom Trainergespann Weiß/Hanenberg klar kommuniziert und lautete den Aufschlagdruck auf die Gäste hochzuhalten. Dies gelang den Ludwigsburgern vorbildlich und Gästezuspieler Linus Herrmann konnte seine großgewachsenen Mittelangreifer nur selten zur Geltung bringen. TVR-Coach Jan Scheuermann sah sich bereits bei 11:7 gezwungen, die erste Auszeit zu ziehen. Doch die Schlossherren ließen mit dem Druck nicht locker und gaben den Ton der Partie an. Angepeitscht von rund 350 Zuschauern gelang den Barock Volleys überraschenderweise der erste Geniestreich, in Form eines Satzgewinns mit 25:21.
Zum zweiten Satz konnte Scheuermann seine Schützlinge aufwecken und dem gegenüber fielen die Ludwigsburger Herren in alte Muster und verschliefen den Start in den Satz. Die Gäste agierten nun mit Routinier Oliver Knobelspieß im Zuspiel, der das jahrelang einstudierte Zusammenspiel mit Diagonalangreifer Niklas Lichtenauer ausspielte. Die Barockstädter konnten den Aufschlagdruck des ersten Satzes nicht mehr aufnehmen und den kleinen Vorsprung der Rottenburger nicht mehr verkürzen. Mit dem Rückrunden-Neuzugang Felix Baumann, von den Baden Volleys SSC Karlsruhe, versuchte Trainer Markus Weiß in der Schlussphase gegenzusteuern, doch der Satzausgleich konnte nicht mehr abgewendet werden. Nach 23:25 ging es in eine kurze 10-Minutenpause.
Für den dritten Durchgang appellierten die Coaches noch einmal an das Team und führten die Sensation vor Augen, die sich am heutigen Abend darbot. Und der Appell sollte Früchte tragen: Die MTV-Herren, um Zuspieler Steffen Haußmann, nahmen sich zum Ziel, mit mindestens einem Punkt den Abend zu beenden. Vor allem der erst 16-jährige Libero Laurin Schiegl zeigte seinen Kampfgeist und höchste Konzentration in Annahme und Abwehr. Für den Angriff fanden die Pässe bei Außenangreifer Niklas Henseling und Diagonalangreifer Raphael Noz stets eine erfolgreiche Anlaufstelle. Spiegelbildlich zum ersten Satz konnten sich die Barockstädter auch in diesem Durchgang ein Punktepolster erspielen. Unter den Fangesängen der Ludwigsburger Bulldogs schafften es die Gastgeber schließlich auch diesen Satz für sich zu entscheiden und den ersten Punkt des neuen Jahres zu gewinnen.
Nun hatten die Barock Volleys Blut geleckt und wollten sich mit einem Sieg gegen den Zweitplatzierten belohnen. Gästetrainer Scheuermann brachte jedoch mit Mittelblocker Felix Weber frischen Wind in die Partie. Der Erstligaerfahrene konnte im vierten Durchgang sowohl im Block, als auch im Angriff maßgebliche Akzente setzen. Das Spiel schaukelte sich auf Augenhöhe bis in die Endphase, als Trainer Markus Weiß bei 19:19 die erste Auszeit geltend machte und kurz darauf, bei 19:21, die zweite Auszeit einsetzen musste. Die Barock Volleys behielten nun leider keinen kühlen Kopf und erlaubten dem TVR mit 21:25 den Tie-Break.
Dieser begann vielversprechend, als man den TV Rottenburg bei 4:1 zur Auszeit zwingen konnte — wendete sich allerdings als Niklas Lichtenauer zum Aufschlag ging. Erst bei 5:6 wechselte das Aufschlagsrecht und Youngster Felix Baumann präsentierte brettharte Topspinaufschläge zum 7:6. Im anschließenden Schlagabtausch gerieten die Hausherren etwas ins Hintertreffen und tauschten bei 7:8 die Seiten. Spätestens jetzt entwickelte sich eine hochemotionale Partie, in deren Verlauf kein Punkt mehr verschenkt wurde. Weiterhin angefeuert vom mitreisenden Publikum, darunter unzählige Spieler der Jugendakademie, durfte Niklas Henseling bei 12:10 zum Aufschlag treten. Dieser bewies größte Nervenstärke und konnte ein letztes Mal bei 14:10 den Ball druckvoll ins Spiel bringen. Vollendet wurde die Sensation mit einem spektakulären Blockpunkt von Moritz Langjahr zum 15:10.
Der Stein, der vor allem den Trainern Markus Weiß und Jonas Hanenberg, vom Herzen gefallen ist, wurde anschließend lautstark und ausgelassen gefeiert. Die Spieler fielen sich in die Arme und konnten noch gar nicht richtig fassen, was in den letzten 143 Minuten passiert war. Einer durfte sich besonders freuen: Libero Laurin Schiegl erhielt im Anschluss die goldene MVP-Medaille. Auf Seiten der Rottenburger durfte sich Jakob Elsäßer das silberne Edelmetall umhängen.
Der sichtlich gerührte und erleichterte Markus Weiß fasst zusammen: “Der Sieg heute Abend hat gezeigt, welches Potenzial in der Mannschaft steckt. Das war eine wahnsinnige Mannschaftsleistung, an der das komplette Team, sowie das Team ums Team und ein sagenhaftes Publikum beteiligt sind. Der Grundstein für eine vielversprechende Rückrunde ist nun gelegt. Gemeinsam können wir darauf aufbauen.”
Foto: Nils Wuechner